Sonntag, 22. Juni 2025

Die Kriminalromane des Autorenteams Karr & Wehner

Die Einordnung der Kriminalromane des Autorenteams Karr & Wehner durch Kritik und Literaturwissenschaft

Einleitung: Karr & Wehner – Ein Autorenteam im Fokus der deutschen Kriminalliteratur

Hanns-Peter Karr, der unter dem Pseudonym H. P. Karr schreibt und dessen bürgerlicher Name Reinhard Jahn ist, und Walter Wehner bilden ein bemerkenswertes Autorenduo, das seit 1988 aktiv ist und sich als feste Größe in der deutschen Kriminalliteratur etabliert hat. Ihre gemeinsame Arbeit umfasst Kriminalromane, Kurzgeschichten und eine Vielzahl von Kriminalhörspielen. Eine besondere Bekanntheit erlangte dabei ihre "Gonzo"-Tetralogie, die von Lesern und Kritik gleichermaßen positiv aufgenommen wurde. Die langjährige und vielseitige Schaffensperiode des Duos, die sich über Romane, Kurzgeschichten und Hörspiele erstreckt, deutet auf eine substanzielle und nachhaltige Präsenz in der deutschen Krimiszene hin. Die kontinuierliche Veröffentlichung von Werken über mehr als drei Jahrzehnte hinweg, die verschiedene Medienformen wie Bücher und Radio bedienen, signalisiert, dass Karr & Wehner keine einmaligen Erscheinungen sind, sondern eine konstante und sich entwickelnde Kraft in der deutschen Kriminalliteratur. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer detaillierten kritischen und akademischen Betrachtung ihres Gesamtwerks.  

Dieser Bericht wird die vielschichtige Einordnung der Werke von Karr & Wehner durch die Literaturkritik und die Literaturwissenschaft detailliert beleuchten. Ziel ist es, ihre spezifischen Beiträge, genretypologischen Merkmale, thematischen Schwerpunkte und ihre Stellung im Kontext der deutschen Kriminalliteratur umfassend zu analysieren.

I. Die kritische Rezeption: Stimmen aus Presse und Medien

Anerkennung und Auszeichnungen

Karr & Wehner haben für ihre Werke eine Reihe renommierter Auszeichnungen erhalten, die ihre Qualität und ihren Stellenwert in der deutschen Krimiszene unterstreichen. Bereits ihre erste gemeinsame Story "Nachtfahrt" wurde 1988 mit dem Walter Serner Preis des SFB ausgezeichnet. Es folgten der Literaturpreis der Stadt Aachen/Walter Hasenclever-Preis 1989 für die Kriminalstory "Angela, mein Engel" und im gleichen Jahr der Literaturpreis Ruhrgebiet/Förderpreis für die Story "Berbersommer". Ein Höhepunkt ihrer Auszeichnungen war der Glauser-Preis 1996 in der Kategorie "Bester Roman" für "Rattensommer". Die Autoren selbst betonten, dass diese Bestätigung durch die Kollegen "schwerer wiegen [würde] als die Umsatzzahlen". Auch in jüngerer Zeit wurden sie weiterhin ausgezeichnet, so erhielten sie 2012 den Ersten Preis im Kurzgeschichtenwettbewerb neobooks für "Rania" und 2018 den Friedrich-Glauser-Preis für die Beste Krimi-Kurzgeschichte für "Hier in Tremonia".  

Die wiederholte Verleihung hochrangiger Auszeichnungen, darunter mehrfache Glauser-Preise, zeugt von einer anhaltend hohen kritischen Anerkennung über Jahrzehnte hinweg und über verschiedene literarische Formate (Romane, Kurzgeschichten) hinweg. Der Glauser-Preis, insbesondere, ist eine der wichtigsten Auszeichnungen im deutschsprachigen Krimibereich und wird von Autorenkollegen vergeben. Diese systematische Anerkennung durch Fachjurys und Kollegen ist ein starkes Indiz für die literarische Qualität und den Einfluss ihres Werkes, der über bloße Verkaufszahlen hinausgeht und ihre Position als maßgebliche Stimmen im Genre untermauert.

Tabelle 1: Auszeichnungen von Karr & Wehner

Auszeichnung / Preis

Jahr

Ausgezeichnetes Werk

Typ des Werkes

Quelle(n)

Walter Serner Preis

1988

Nachtfahrt

Kriminalstory

 

Literaturpreis Stadt Aachen

1989

Angela, mein Engel

Kriminalstory

 

Literaturpreis Ruhrgebiet

1989

Berbersommer

Kriminalstory

 

Glauser-Preis (Bester Roman)

1996

Rattensommer

Kriminalroman

 

Erster Preis Kurzgeschichtenwettbewerb neobooks

2012

Rania

Kurzgeschichte

 

Friedrich-Glauser-Preis (Beste Krimi-Kurzgeschichte)

2018

Hier in Tremonia

Kurzgeschichte

 

Charakterisierung des Stils und der Sprache

Die Kritik hebt den unverwechselbaren Stil von Karr & Wehner hervor, der oft als "rotzig-flott" , "schnodderig" und "flapsig" beschrieben wird. Diese konsistenten stilistischen Beschreibungen durch verschiedene Kritiker deuten auf eine bewusste und kohärente stilistische Wahl hin, die Karr & Wehner von anderen abhebt. Prof. Dr. Erhard Schütz, ein anerkannter Literaturwissenschaftler, charakterisiert ihre Sprache als "lakonisch", die sich der Umgangssprache bedient, ohne sich damit gemein zu machen, und den "allgemeinen Zynismus aufbricht". Schütz's tiefgehende Analyse verdeutlicht, dass dieser Stil nicht nur informell ist, sondern eine literarische Funktion erfüllt: Er ermöglicht eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichem Zynismus und verleiht ihren Werken eine unverwechselbare "hardboiled"-Ästhetik. Diese differenzierte Beschreibung als "lakonisch" geht über eine oberflächliche Beobachtung hinaus und erklärt, wie dieser Stil eine Brücke zwischen Alltagssprache und literarischem Anspruch schlägt, um eine kritische Haltung zu vermitteln. Dies zeigt, dass ihr Stil nicht nur unterhaltsam, sondern auch funktional und thematisch relevant ist, was ihre literarische Qualität untermauert. Ihre Schreibe wird zudem als "temporeich und unangestrengt" gelobt.  

Thematische Schwerpunkte und Milieustudien

Karr & Wehners Romane sind für ihre präzisen "Milieustudien der Großstadt," insbesondere des Ruhrgebiets, bekannt. Sie thematisieren "vom Leben und vom Überleben in der Großstadt" und die Herausforderungen, denen sich ihr Held "in der Medienwelt durchschlagen muß". "Rattensommer" illustriert die Bandbreite ihrer Themen, darunter "Mordserie an Mädchen, Frauenhandel, Pornofilme bis hin zum Snuff-Movie, Gänsereiten, Tierversuche, Militante Tierschützer, Inkassounternehmen, Alt- und Neonazis, Korrupte". Die Autoren selbst benennen "Leben und Überleben in der Großstadt" und die "Medienwelt" als zentrale Themen. Die Inhaltsangabe von "Rattensommer" liefert konkrete Beispiele für die Härte und Brisanz dieser Themen. Die Kritik lobt ihre Fähigkeit, "Zeit und Zeitgeist exakt zu treffen und detailliert darzustellen" und dabei "Skandalthemen unserer Zeit" geschickt zu verarbeiten. Diese thematische Konsistenz in Verbindung mit ihrem Stil zeigt eine klare Absicht, das Kriminalgenre als Medium für gesellschaftliche Kommentare zu nutzen, was ein Merkmal anspruchsvoller Kriminalliteratur ist. Die Kombination eines "hardboiled"-Stils mit der detaillierten Auseinandersetzung mit "Skandalthemen unserer Zeit" und einer präzisen Milieustudie des Ruhrgebiets positioniert Karr & Wehners Werk eindeutig im Bereich der sozialkritischen Kriminalliteratur. Die explizite Nennung düsterer und gesellschaftlich relevanter Themen in "Rattensommer" unterstreicht ihre Bereitschaft, die ungemütlichen Realitäten des urbanen Lebens zu beleuchten, was der "hardboiled"-Tradition der Gesellschaftskritik entspricht.  

Figurenzeichnung: "Gonzo" Gonschorek

Der zentrale Protagonist ihrer Romane, der freie Videoreporter Heinrich "Gonzo" Gonschorek, wird als "zynischer Asphaltcowboy" und "erfrischend abgebrühter Held" beschrieben. Gonzo verkörpert den "hardboiled"-Detektivtypus im deutschen Kontext. Sein Zynismus, der aus den rauen Realitäten der Medienwelt und dem Kampf ums Überleben in der Stadt resultiert, spiegelt den "abgebrühten Privatdetektiv" wider, ist aber zeitgemäß und medienkritisch adaptiert. Sein Zynismus wird von Ralf Koss als authentisch und nicht nur als "literarische Attitüde" wahrgenommen, da er aus der detailliert eingefangenen "Lebenswirklichkeit" der Medien und Straßen des Ruhrgebiets entspringt. Gonzo ist ständig auf der Jagd nach "einschaltquotensteigernden Sex-and-Crime-Bildern" für das Privatfernsehen und muss sogar Pornofilme filmen, um seine Finanzlöcher zu stopfen. Seine moralisch ambivalenten Handlungen verstärken seinen Status als "amoralischer Protagonist," dessen Darstellung jedoch eine "aufklärerische Moral" vermittelt , was auf eine kritische Distanz und implizite Gesellschaftsanalyse durch die Figur hindeutet. Die Figur des Gonzo ist der Dreh- und Angelpunkt der Romane. Die kritischen Beschreibungen passen exakt zur Definition des "hardboiled" Archetyps. Gonzos Beruf als Videoreporter ist eine direkte Umsetzung des Interesses der Autoren an der "Medienwelt". Die Wahrnehmung seines Zynismus als authentisch und die Zuschreibung einer "aufklärerischen Moral" trotz seiner Amoralität zeigen die Komplexität und den kritischen Gehalt der Charakterzeichnung.  

Rezeption ihrer Hörspiele

Neben ihren Romanen sind Karr & Wehner auch für ihre zahlreichen Kriminalhörspiele bekannt, die sie in den 1990er Jahren für den WDR schrieben. Ihr Hörspiel "Straße frei" wird von der Kritik als "realistisches Polizeistück" eingestuft, das Themen wie Polizeikorruption, soziale Probleme und Bandengewalt behandelt. "Siebzehn gewinnt" ist eine "Krimi-Komödie in vier Verwaltungsakten" und ein "Verwaltungskrimi," der sich mit Bürokratie, Datenzugriff und dem Missbrauch von Wissen auseinandersetzt. Es gilt als eine ihrer erfolgreichsten Hörspielproduktionen. Ihr Erfolg im Bereich der Hörspiele, insbesondere mit Werken wie einem "realistischen Polizeistück" und einer "Krimi-Komödie" , demonstriert ihre Vielseitigkeit innerhalb des Kriminalgenres und ihre Fähigkeit, ihre thematischen Anliegen (Gesellschaftskritik, urbanes Leben, Bürokratie) erfolgreich in verschiedene Medienformen zu übertragen. Dies erweitert ihren kritischen Fußabdruck über gedruckte Romane hinaus und unterstreicht ihr Engagement in einem wichtigen, wenn auch akademisch oft unterbeleuchteten, Bereich der deutschen Krimimedien.  

II. Literaturwissenschaftliche Einordnung und Analyse

Verortung im Genre des deutschen Kriminalromans

Die deutsche Kriminalliteratur blickt auf eine lange Tradition zurück, die seit dem 19. Jahrhundert stark von internationalen Vorbildern beeinflusst wurde. Karr & Wehner sind Teil einer "nachholenden Modernisierung" der deutschsprachigen Kriminalliteratur, die seit den 1980er Jahren stattfindet. Diese Bewegung zeichnet sich durch das Experimentieren mit "neuartigen Erzählstoffen, -motiven und -weisen" aus, um sich der internationalen Kriminalliteratur anzunähern. Hanns-Peter Karr (Reinhard Jahn) ist selbst ein anerkannter Experte des Genres, als Mitbegründer des Bochumer Krimi Archivs und Autor des "Lexikon der deutschen Krimi-Autoren". Walter Wehner ist zudem promovierter Germanist. Diese Hintergründe verleihen dem Duo eine einzigartige Meta-Perspektive auf die Entwicklung und Struktur der deutschen Kriminalliteratur. Karr & Wehner sind nicht nur Autoren  

innerhalb des deutschen Kriminalgenres, sondern agieren auch als dessen bewusste Gestalter und Kommentatoren. Karrs Rolle als Genrehistoriker und Archivar sowie Wehners germanistischer Hintergrund zeigen ein tiefes, informiertes Engagement mit der Genre-Evolution. Dies ermöglicht es ihnen, bewusst zur "Modernisierung" beizutragen und ihre Werke gezielt innerhalb oder gegen bestehende Traditionen zu positionieren, was sie zu intellektuell signifikanten Figuren im akademischen Diskurs über die deutsche Kriminalliteratur macht.  

Diskussion der "hardboiled"-Typologisierung

Die Jury des Glauser-Preises 1996 stellte fest, dass ihr Krimi das Prädikat "deutscher hardboiled Krimi" "vertragen dürfte". Die Autoren selbst stimmen dieser Typologisierung zu und sehen sie als Ausdruck der Härte des Lebens und der Notwendigkeit, sich in der Großstadt und Medienwelt durchzuschlagen. Sie grenzen sich explizit von "kuscheligen Katzen" oder "Tüftel- und Ratekrimis" ab , was eine bewusste Abkehr von traditionellen "Whodunnit"-Formen darstellt. Die "Gonzo"-Romane "kannibalisierten" frühere Gonzo-Stories "im Sinne von Raymond Chandler" , was eine direkte literarische Referenz zum amerikanischen Hardboiled-Meister darstellt. Der Hardboiled-Stil, der in Deutschland historisch weniger dominant war als der Rätselkrimi , wird durch Karr & Wehner mit einem zynischen, realistischen und flapsigen Ton erfolgreich in den deutschen Kontext übertragen. Karr & Wehner spielen eine entscheidende Rolle bei der Etablierung und Legitimierung des "hardboiled"-Subgenres innerhalb der deutschen Kriminalliteratur. Ihre explizite Selbstidentifikation mit diesem Stil und die stilistische Referenz an Chandler zeigen einen bewussten Versuch, eine historisch weniger verbreitete , aber gesellschaftskritisch prägnante Form der Kriminalliteratur zu adaptieren und zu etablieren. Dies ist ein zentraler Aspekt ihres "modernisierenden" Beitrags, der die deutsche Kriminalliteratur hin zu einem schärferen Realismus und weg von rein intellektuellen Rätseln bewegt.  

Auseinandersetzung mit dem Begriff des "Regionalkrimis"

Obwohl ihre Krimis im Ruhrgebiet spielen und das "Revier-Milieu" detailliert schildern , lehnen Karr & Wehner die Bezeichnung "Regionalkrimi" für ihre Werke ab. Sie argumentieren, dass der Spielort organisch gewählt sei ("wo wir uns einigermaßen auskennen") und nicht als "Kalkül oder Konzept". Sie ziehen Parallelen zu Edgar Wallace's London oder Raymond Chandler's Los Angeles, die ebenfalls nicht als "Regionalkrimis" bezeichnet würden. Die Literaturwissenschaft und Kritik tendieren dazu, den "Regionalkrimi" oft als "Marketing-Label" von "geringer Qualität" einzustufen , obwohl er ein populäres Phänomen ist. Akademische Arbeiten wie "Der Regionalkrimi: Ausdifferenzierungen und Entwicklungstendenzen" zeigen jedoch ein wachsendes wissenschaftliches Interesse an diesem Subgenre. Die Ablehnung des "Regionalkrimi"-Etiketts durch Karr & Wehner, trotz ihrer starken regionalen Verankerung, ist als strategische literarische Aussage zu verstehen. Sie positionieren sich damit gegen die wahrgenommene Kommerzialisierung und qualitative Verwässerung, die oft mit dem Begriff assoziiert wird. Ihr Argument für eine organische Wahl des Schauplatzes und der Vergleich mit internationalen Meistern legen nahe, dass sie universelle Themen in spezifischen lokalen Realitäten verankern wollen, wodurch ihre Werke über den typischen "Regiokrimi" hinausgehen und zur "wachsenden Klasse" des Genres beitragen. Die explizite Ablehnung des Begriffs "Regionalkrimi" durch die Autoren steht im Kontrast zur kritischen Wahrnehmung des "stimmigen Revier-Milieus". Dieser Widerspruch ist aufschlussreich und zeigt, dass die Autoren implizit eine differenziertere Betrachtung von Regionalität in der Literatur fordern, die den Schauplatz als integralen Bestandteil der Thematik und Charakterentwicklung versteht und nicht als bloße Kulisse für den Massenmarkt.  

Analyse spezifischer Werke und Reihen (Das "Gonzo"-Quartett)

Die "Gonzo"-Serie ist als Quartett konzipiert und umfasst die Titel "Geierfrühling" (Teil 1), "Rattensommer" (Teil 2), "Hühnerherbst" und "Bullenwinter". "Rattensommer" wird von Thomas Przybilka als "rasanter Krimi, perfekt und rund, ohne Längen und schwermütige Philosophie" beschrieben. Der Inhalt des Romans, mit seinen düsteren und gesellschaftlich relevanten Themen wie Mordserien, Frauenhandel, Snuff-Movies und Neonazis , unterstreicht den "hardboiled" Charakter und die ausgeprägte soziale Kritik. Andreas Ammer würdigte den Abschlussband "Bullenwinter" als das Ende "eines Stück[s] deutsche[r] Krimikunst," was die hohe literarische Wertschätzung der gesamten Serie belegt. Die "Gonzo"-Tetralogie ist das Aushängeschild von Karr & Wehners Werk, das ihre "hardboiled"-Ästhetik und thematische Tiefe exemplarisch verkörpert. Die kritische Anerkennung für das Tempo und die Abwesenheit "schwermütiger Philosophie" weist auf einen direkten, wirkungsvollen Erzählstil hin, der typisch für Hardboiled-Fiction ist. Die dunklen Themen von "Rattensommer" bestätigen ihr Engagement für die Erkundung des gesellschaftlichen Unterbauchs und festigen ihre Position als Autoren sozialkritischer Kriminalliteratur. Ammers Charakterisierung als "Stück deutsche Krimikunst" hebt die Serie auf ein hohes literarisches Niveau.  

Betrachtung ihrer Hörspiele im Rahmen der Germanistik und Medienwissenschaft

Walter Wehner ist promovierter Germanist , was seine Fähigkeit zur literaturwissenschaftlichen Reflexion und zur Gestaltung komplexer Erzählstrukturen untermauert. Die Forschung zu Kriminalhörspielen wird in der Germanistik als "Desiderat" (noch zu erforschendes Gebiet) bezeichnet , obwohl das Genre seit Jahrzehnten beliebt und verbreitet ist. Dies bedeutet, dass Karr & Wehners umfangreiches Hörspiel-Œuvre eine wichtige, aber potenziell unterbeleuchtete Quelle für die medienwissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Forschung darstellt. Die Kombination von Walter Wehners akademischem Hintergrund und dem akademischen "Desiderat" bezüglich Kriminalhörspielen offenbart eine Forschungslücke, die durch das Werk von Karr & Wehner geschlossen werden könnte. Ihr Erfolg in diesem Medium, insbesondere mit "realistischen Polizeistücken" , deutet darauf hin, dass sie Pioniere in einem Bereich sind, den die akademische Forschung noch nicht vollständig erschlossen hat. Dies impliziert, dass eine umfassende akademische Bewertung ihres Werkes einen interdisziplinären Ansatz erfordert, der Medienwissenschaft und Literaturanalyse integriert.  

Spezifische literaturwissenschaftliche Kommentare

Prof. Dr. Erhard Schütz, ein anerkannter Germanist und Literaturwissenschaftler, analysiert ihre Geschichten als "gute und nicht einfach Kriminalgeschichten," weil sie "über ein tagtägliches Verbrechen der Gesellschaft an sich selber schreiben". Schütz lobt ihre "lakonische" Sprache, die sich der Umgangssprache bedient, aber deren Zynismus aufbricht, und betont die "aufklärerische Moral" ihrer amoralischen Protagonisten. Schütz's akademische Bewertung bietet eine entscheidende literaturtheoretische Perspektive, die über bloße Inhaltszusammenfassungen hinausgeht und die tiefere soziale Funktion und stilistischen Nuancen ihres Werks analysiert. Seine Betonung des "Verbrechens der Gesellschaft an sich selber" und der "aufklärerischen Moral" bestätigt den sozialkritischen Aspekt ihres "hardboiled"-Ansatzes und positioniert sie als Autoren, die das Genre zur Gesellschaftskritik nutzen, was dem breiteren Zweck der Kriminalliteratur entspricht. Schütz's Kommentare stammen explizit aus einer akademischen Publikation ("3. Autorenreader") und von einem "Prof. Dr.", was ihnen erhebliches Gewicht verleiht. Seine Interpretation, dass ihre Werke "Verbrechen der Gesellschaft an sich selber" thematisieren, hebt sie über reine Unterhaltung hinaus und verortet sie im Kontext der Kriminalliteratur als Medium der Gesellschaftskritik. Seine detaillierte stilistische Analyse ("lakonisch," Aufbrechen des Zynismus, "aufklärerische Moral") liefert konkrete akademische Begriffe zur Beschreibung ihrer einzigartigen Stimme und thematischen Tiefe.  

III. Synthese und Fazit: Karr & Wehners Beitrag zur deutschen Kriminalliteratur

Zusammenfassung der wichtigsten Einordnungen und Merkmale

Karr & Wehner sind als Autorenteam fest in der deutschen Kriminalliteratur etabliert, was durch zahlreiche Auszeichnungen, insbesondere den Glauser-Preis, belegt wird. Ihr Stil ist geprägt von einer "hardboiled"-Ästhetik, die sich durch eine "rotzig-flotte," "schnodderige" und "lakonische" Sprache auszeichnet. Sie lehnen "kuschelige Katzen" und "Tüftel- und Ratekrimis" ab und positionieren sich bewusst in der Tradition Raymond Chandlers. Thematisch bieten ihre Werke, allen voran die "Gonzo"-Tetralogie, eine realistische und oft düstere "Milieustudie" des Ruhrgebiets und der Medienwelt, die "Skandalthemen unserer Zeit" aufgreift und als "aufklärerische Moral" dient. Sie sind auch bedeutende Akteure im Bereich der Kriminalhörspiele, wo sie ebenfalls kritische und erfolgreiche Werke geschaffen haben.  

Diskussion ihrer Innovationskraft und ihres Einflusses auf das Genre

Durch ihre bewusste Adaption des "hardboiled"-Stils und ihre Ablehnung des "Regionalkrimi"-Etiketts tragen Karr & Wehner maßgeblich zur "nachholenden Modernisierung" der deutschen Kriminalliteratur bei. Sie zeigen, dass regionale Verankerung nicht zwangsläufig zu qualitativer Einschränkung führen muss, sondern eine Basis für tiefgehende soziale Kommentare sein kann. Die einzigartige Kombination von Walter Wehners germanistischer Expertise und Hanns-Peter Karrs umfassendem Wissen über die deutsche Krimiszene ermöglicht eine intellektuell fundierte und stilistisch prägnante Auseinandersetzung mit dem Genre, die über reine Unterhaltung hinausgeht und die Komplexität des modernen Kriminalromans als Spiegel gesellschaftlicher Abgründe nutzt. Ihre Innovationskraft liegt in der erfolgreichen Überbrückung der Kluft zwischen populärer Genreliteratur und literarischem Tiefgang. Sie demonstrieren, dass der "hardboiled"-Realismus erfolgreich in den deutschen Kontext übertragen und adaptiert werden kann, um scharfe Gesellschaftskritik zu üben und gleichzeitig eine hohe narrative Qualität zu bewahren. Ihre Doppelrolle als Praktiker und Theoretiker (Karr als Archivar/Lexikograph, Wehner als Germanist) verleiht ihnen eine einzigartige Position, die Entwicklung des Genres sowohl zu beeinflussen als auch zu reflektieren.  

Ausblick auf ihre dauerhafte Stellung in der deutschen Kriminalliteratur

Die "Gonzo"-Serie wird bereits als "ein Stück deutsche Krimikunst" gewürdigt , was auf eine bleibende Relevanz und einen kanonischen Status hindeutet. Ihre Werke dienen als Beispiel für die Fähigkeit des Kriminalromans, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu spiegeln und menschliche Abgründe auszuloten. Trotz des akademischen "Desiderats" bei Kriminalhörspielen ist ihr substanzieller Beitrag in diesem Bereich von großer Bedeutung und verdient weitere literatur- und medienwissenschaftliche Aufmerksamkeit, was ihre langfristige Relevanz für die Forschung sichert. Karr & Wehners Vermächtnis wird voraussichtlich nicht nur aufgrund ihrer fesselnden Erzählungen Bestand haben, sondern auch wegen ihrer intellektuellen Rigorosität und ihrer Rolle bei der Gestaltung des modernen deutschen Kriminalromans. Ihr Werk bietet fruchtbaren Boden für fortgesetzte akademische Studien, insbesondere in interdisziplinären Feldern, die Literatur- und Medienwissenschaft verbinden, und festigt so ihre langfristige Bedeutung.