Donnerstag, 5. August 2021

Mord nach Rezept - Band 8

H. P. Karr:

Unkraut vergeht nicht


Jacoby fluchte, weil er mit dem Unkraut zwischen den Hortensien und den Rosen einfach nicht fertigwurde. Seit einer halben Stunde zupfte und jätete er jetzt schon. Sein Kreuz schmerzte. Sein Nacken brannte. Man war eben nicht mehr der Jüngste.
»Zähes Zeug, was?«
Wenn Jacoby etwas nicht gebrauchen konnte, dann war es ein Kommentar von Römer. Sein Gartennachbar stand am Zaun, in adretter Pflanzschürze und mit einem schicken Strohhut auf dem Kopf, als ginge es hier um ein Casting für Germany's Next Top-Gärtner. Am liebsten hätte Jacoby mit seiner Hacke auf Römers Füße eingehackt, auf die er aus seiner Hocke vorm Rosenbeet starrte.
»Unkraut eben!«, brummte Jacoby stattdessen. Er war ein schwerfälliger, untersetzter Mann, Ende vierzig. Vor einem halben Jahr hatte er die Immobilie neben Römer gekauft: freistehendes Einfamilienhaus mit hundertfünfzig Quadratmetern Wohnfläche und knapp fünfhundert Quadratmetern Garten. Ein Traum. Wäre da nicht die Nachbarschaft. Bis jetzt hatte Jacoby es immer geschafft, rechtzeitig im Haus zu verschwinden, wenn Römer in seinem Gärtner-Outfit drüben auftauchte, um zu säen, zu jäten, zu mähen.
»Kommst du, Liebling?« Römers Frau hatte den Kaffeetisch auf der Terrasse gedeckt. Jacoby drehte die Augen nach oben. Römer streckte ihm die Hand entgegen. »Römer! Zeit, dass wir uns kennenlernen.«
Jacoby überwand sich. »Jacoby. Auf gute Nachbarschaft!«
Römer machte eine großzügige Geste. »Dann kommen Sie doch am besten gleich mit Ihrer Frau auf eine Tasse Kaffee herüber.«


Claudia kam aus dem Bad. Die Nachtcreme glänzte auf ihrem Gesicht. Römer machte die Augen zu.
»Seltsame Leute, diese Jacobys«, sagte Claudia und ließ sich ins Bett fallen. Römer tat weiter so, als ob er schliefe, obwohl er wusste, dass das Claudia nicht daran hindern würde, weiter auf ihn einzureden. Wahrscheinlich redete sie auch auf ihn ein, wenn er gar nicht da war.
»Was sie an diesem alten Kerl findet, frage ich mich«, murmelte Claudia. »Die beiden sind doch mindestens zwanzig Jahre auseinander.« Sie machte das Licht aus und seufzte. »Na ja, wo Liebe hinfällt.«
Das fragte sich Römer inzwischen manchmal auch – und vor allem fragte er sich, wo die Liebe hinging, wenn sie starb.

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