Gespräch im Park
Mit einer halben
Stunde Verspätung kam sie zu dem vereinbarten Treffpunkt im Stadtpark. Er hatte
sich bereits von der Parkbank, auf der er gewartet hatte, erhoben und sich zum
Fortgehen gewendet, als sie endlich auftauchte. Ihr Gesicht drückte Besorgnis
aus.
»Was ist geschehen?«,
fragte er. »Hast du dich wieder mit deinem Vater gestritten?«
Die junge Frau
nickte bedrückt. »Ja. Vater hat mir wieder vorgeworfen, dass ich auf einen
Mitgiftjäger hereingefallen bin. Er kann es einfach nicht glauben, dass ich
dich wirklich liebe. Er nimmt immer noch an, dass du es nur auf die riesige
Erbschaft abgesehen hast, die ich einmal antreten werde, wenn Vater stirbt.«
»Irgendwie kann ich
die Haltung deines Vaters verstehen!«, sagte der junge Mann und legte seinen
Arm um die schmalen Schultern des Mädchens. »Er hat sich in jahrelanger,
mühevoller Arbeit zu einem der wohlhabendsten Bürger unserer Stadt
emporgearbeitet. Ihm gehören verschiedene Fabriken und ein großes Haus am
Stadtrand. Und nun befürchtet er, dass das alles nach seinem Tod – wenn du es
erbst – in Hände fallen könnte, die es nicht verdient haben!« Er zog sie an
sich und sah sie lange an. »Aber du musst mir eines versprechen, Liebes. Du
darfst nicht glauben, was dein Vater über mich sagt. Ich möchte dich so schnell
wie möglich heiraten, weil ich dich liebe – und nicht, weil du eine reiche
Erbin bist. Das darfst du nie vergessen. Versprichst du mir das?«
»Das kann ich dir
sogar leicht versprechen!«, erwiderte sie mit einem erleichterten Unterton in
der Stimme. »Vater hat sich nämlich entschlossen, mich zu enterben!«
»Was?«, stieß er
hervor.
»Als ich ihm klar
und deutlich sagte, dass ich dich um jeden Preis heiraten werde, hat er sofort
seinen Rechtsanwalt zu sich bestellt. Ich werde keinen Pfennig von seinem
Vermögen erben, weil alles in eine wohltätige Stiftung übergeht. Zuerst hielt
ich das für einen verrückten Vorschlag, bis ich dann herausfand, dass es die
einzige Lösung ist. Jetzt können wir endlich...«
»Er hat dich
enterbt?«, stammelte der junge Mann fassungslos. »Und du willst, dass wir
heiraten?«
»Aber ja!«,
erwiderte sie.
»Und wovon sollen
wir leben?« wollte er wissen. »Ich verdiene nicht viel...«
»Wir werden schon
zurechtkommen!«, sagte sie optimistisch. »Gehen wir morgen zum Standesamt und
bestellen das Aufgebot?«
Er sah sie an und
nahm ihre Hand. »Ich glaube«, sagte er dann langsam, »wir sollten es nicht
übereilen. Wir müssen alles genau überlegen. Es ist eine schwerwiegende
Entscheidung. Überhaupt jetzt, wo dein Vater sein Testament ändert...«
»Ich habe dich
schon verstanden«, sagte die junge Frau bitter. »Du hast in mir nur die reiche
Erbin gesehen – wirklich geliebt hast du mich nicht. Mein Vater hatte von
Anfang an recht. Er hat sein Testament nie geändert, das war nur eine Prüfung,
vor die ich dich gestellt habe. Ich wollte endlich Klarheit haben, ob du mich
nur um meiner selbst oder meines Geldes wegen liebst. Und jetzt habe ich die
Antwort gefunden.«
Sie wandte sich auf dem Absatz um und ging mit schnellen, sicheren Schritten davon.
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