Donnerstag, 24. Juli 2025

Ratekrimi Classic
Ein Fall für Inspektor Carter 2

 Zeuge in Angst

Von John Miller

Die Botschaft auf dem Zettel, den ein Unbekannter an Oliver Hillmans Haustür hinterlassen hatte, war eindeutig: „Wenn du aussagst, bist du tot!“
Inspektor Carter wusste, worum es ging. Hillman war der Hauptzeuge im Prozess gegen die Brüder Mike und Harry Greason. Sie hatten Steuern in Millionenhöhe hinterzogen.
„Ich sah einen Mann im Kapuzenshirt durch meinen Vorgarten kommen“, sagte Hillman. „Er heftete diesen Zettel an die Tür und machte sich durch mein Geranienbeet davon, ehe ich öffnen konnte. Er stolperte und knickte mit dem Fuß um, aber schaffte es humpelnd, in einen schwarzen Mini zu springen und davonzubrausen.“
Zum Glück hatte eine Überwachungskamera den Wagen und den Kapuzenträger gefilmt – und man konnte das Auto anhand des Nummernschildes identifizieren. Es war auf die Firma der Greasons zugelassen.
Gleich darauf klingelte der Inspektor bei den Brüdern Greason. Harry Greason öffnete im Sportdress.
„Ich trainiere gerade“, sagte er.
Im Wohnzimmer stieg er wieder auf den Stepper, der vor dem Fernseher stand. „Egal, was Sie mir vorwerfen wollen, ich war den ganzen Abend hier“, erklärte er.
Sein Bruder Mike saß gelangweilt auf dem Sofa.
„Und Sie?“, fragte Carter.
Mike schaltete den Fernseher aus. „Ich auch.“
Als Carter sich in der Diele umsah, entdeckte er Straßenschuhe, an denen noch Erde und Blütenblätter einer Geranie hafteten.
„Wem gehören die Schuhe?“, wollte er wissen.
Mike sah auf. „Meine sind es nicht.“
Harry lächelte Carter an. „Und ich sage: Meine Schuhe sind es auch nicht.“
„Oliver Hillman wurde bedroht“, sagte Carter. „Und es gibt eine Videoaufnahme von Ihrem Firmenwagen vor seinem Haus.“
„Aber offenbar wissen Sie nicht, ob ich dort gewesen bin oder Mike“, grinste Harry. „Seien Sie ehrlich – Sie haben nichts gegen uns in der Hand.“
„Doch“, sagte Carter. „Ich kann beweisen, dass Ihr Bruder Mike vorhin bei Hillman war, um ihn zu bedrohen.“



Lösung:

Der Täter humpelte, wie auf dem Video zu sehen war.
Harry trainierte auf seinem Stepper – ohne Anzeichen einer Behinderung. Mike aber saß die ganze Zeit auf der Couch – weil er sich durch sein Humpeln verraten hätte, wenn er aufgestanden wäre.



Quelle:
PRISMA (West) Heft 4/2014
©  BULLS und Autor Lizenz #C1183

Sonntag, 20. Juli 2025

Ratekrimi-Classic
Ein Fall für Inspektor Carter

Verrat im Labor

von John Miller

Professor Hopkins, der an seinem biochemischen Institut im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums forschte, bat seinen Assistenten Arnie Smith, Inspektor Carter die Sachlage zu erklären.
„Weil wir unsere Kollegin Linda Lancer verdächtigen, unsere Forschungsergebnisse an einen Chemiekonzern zu verkaufen, habe ich ihr mit einer präparierten Computerdatei eine Falle gestellt.“ Arnie zeigte Carter Lindas Computer. „Und siehe da – heute Morgen um 7:35 Uhr wurde diese Datei von Lindas Computer via E-Mail an den US-Konzern verschickt.“
„Wir hätten das dem Inspektor alles viel früher berichten können, wenn Sie nicht Ihre Mittagspause überzogen hätten“, wies Professor Hopkins Arnie Smith zurecht. Und zu Carter sagte er: „Linda kam nicht aus der Mittagspause zurück. Wir denken, sie hat sich abgesetzt!“
Inspektor Carter brauchte eine halbe Stunde, um vom Labor zu Linda Lancers Wohnung zu kommen. Er musste sich vom Hausmeister aufschließen lassen und fand Linda im Schlafzimmer auf dem Bett – tot!
Auf dem Nachttisch lagen die leere Ampulle eines Betäubungsmittels und eine Spritze.
„Mein Gott“, murmelte der Hausmeister draußen vor der Tür. „Sie war so eine nette Frau! Jeden Morgen hat sie mir die Zeitung hereingebracht, pünktlich um acht, ehe sie zur Arbeit fuhr.“
„Ist Ihnen heute an ihr etwas aufgefallen?“, fragte der Inspektor.
„Nein, sie war genauso wie immer“, sagte der Hausmeister.
Carter griff zum Handy und rief Professor Hopkins an. „Linda ist tot“, sagte er. „Der wahre Spion im Labor hat sie als Sündenbock benutzt. Halten Sie Arnie Smith unter einem Vorwand fest – er hat uns alle getäuscht und wohl auch Linda in der Mittagspause in ihre Wohnung gelockt und getötet, damit es so aussah, als habe sie aus Schuldgefühl Selbstmord begangen.“
Wie kam Carter zu diesem Schluss?

Lösung:
Lindas Wohnung lag eine halbe Autostunde vom Labor entfernt. Der Hausmeister hatte sie um acht gesehen, also hätte sie frühestens um halb neun an ihrem Computer sein können. Aber die belastende E-Mail wurde im Büro um 7.35 Uhr versendet. Das konnte nur Smith getan haben, der die angebliche Falle aufgebaut hatte. Ein weiterer Hinweis: Smith kam zu spät aus seiner Mittagspause zurück.

Ratekrimi Verrat im Labor - Von John Miller
prisma Heft 9/2014 (C) Bulls Pressedienst & author
Lizenz #C1185




Sonntag, 6. Juli 2025

Es begab sich am Abend

            

2147

 Es begab sich am Abend.

Aus dem Fernseher rieselte die Tagesschau-Fanfare, und das Licht des Bildschirms beleuchtete die Gesichter des Ehepaares, das auf die Mattscheibe starrte. Nach den ersten Worten des Tagesschausprechers sagte Frau Popenpuschel mitleidsvoll:

»Alt ist er geworden!«

»Wer?« fragte Herr Popenpuschel.

»Karl-Heinz!« Sie neigt den Kopf in Richtung Bildschirm.

»Kann man eben auch nichts dran ändern!«

Und dann erinnert sich Frau Popenpuschel: »Also, damals, als wir uns kennengelernt haben, da sah er richtig fesch aus, der Herr Köpcke!«

»Ach, damals...« seufzt er. »Weißt du noch, wie ich immer zu euch gekommen bin – zum Fernsehen?«

Sie nickt. »Ja... was wolltest du noch immer sehen?«

»‚Auf der Flucht‘. Mit dem Doktor Kimble.«

»Ja, richtig. Und immer, wenn es spannend geworden ist, da habe ich nach deiner Hand gegriffen!« Ergriffen seufzt Frau Popenpuschel.

»Und dann«, erinnert er sich weiter, »als die nächste Serie kam – ich glaube, das war ‚77 Sunset Strip‘ –, da haben wir uns verlobt, nicht wahr?!«

Sie widerspricht. »Danach ist ‚FBI‘ gelaufen. Mit dem Efrem Zimbalist. Das musst du doch wissen!«

»Wir haben ‚77 Sunset Strip‘ gesehen!«, erklärt er entschieden. »Ich weiß das doch ganz genau, weil du dem einen, diesem Kookie, doch immer ganz verliebte Augen gemacht hast!«

Sie schüttelt den Kopf. »Du musst das gerade sagen!«, erregt sie sich. »Du warst es doch, der immer ‚Tammy – das Mädchen vom Hausboot‘ gesehen hat. Diese widerliche Seifenpuppe. Ich hätte ihr die Augen auskratzen können!«

»Das war doch nichts!«, beschwichtigt er sie. »Gar nichts. Ich fand sie nur nett – dieses Mädchen vom Hausboot.«


[...]
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Erstsendung Saarländischer Rundfunk 
 6.9.1979 »Spätvorstellung«

Sehenswürdigkeiten

 2147
Hubert war Student. Er studierte Architektur und nebenbei noch etwas Geschichte. Und da er mit dem monatlichen Scheck seiner Eltern mehr schlecht als recht auskam, blieb ihm nichts anderes übrig, als in den Semesterferien zu arbeiten. Hubert arbeitete als Fremdenführer. Er kommentierte die Stadtrundfahrten, die täglich für Touristen und auswärtige Besucher in den Autobussen der Städtischen Verkehrsbetriebe unternommen wurden. Auf diese Art und Weise konnte er seine Kenntnisse über die gut erhaltenen alten Kapellen, Bürgerhäuser, Kirchen und Denkmäler der Stadt loswerden. So hatte er auf alle Fälle das Gefühl, nicht umsonst zu studieren. Es war an einem Mittwoch. Hubert stand neben dem Autobus, in dem die Rundfahrt stattfinden sollte, und wartete auf Kundschaft. Der Busfahrer stand ein wenig abseits, blätterte ab und zu gelangweilt eine Seite seiner Zeitung um und wartete ebenfalls. In einer Viertelstunde sollte die Rundfahrt beginnen, und bisher hatten sich nur acht Interessenten für die Sehenswürdigkeiten der Stadt eingefunden. Etwas verlassen saßen sie in dem Bus, der über vierzig Passagiere fasste. Eine Dame erregte Huberts Aufmerksamkeit. Sie war offensichtlich um die Jahrhundertwende geboren und schien ein sehr eigenwilliges Leben zu führen. Sie war in Schwarz gekleidet, trug altmodische Knöpfelschuhe, einen riesigen schwarzen Hut mit Schleier und dazu ein großes gehäkeltes Schultertuch. Sie spazierte auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig des Busbahnhofs auf und ab, wobei sie ihre schon etwas abgegriffene Handtasche kampflustig baumeln ließ. Hubert fasste sich ein Herz und ging zu ihr hinüber. »Verzeihung!« sagte er. »Vielleicht wünschen gnädige Frau, eine Rundfahrt mitzumachen, um die Sehenswürdigkeiten der Stadt kennenzulernen?« Worauf die Dame Hubert missbilligend von oben bis unten musterte. Schließlich verkündete sie hoheitsvoll: »Junger Mann, ich bin eine der Sehenswürdigkeiten dieser Stadt!«

(C) by author

Gespräch im Park

 

Gespräch im Park

Mit einer halben Stunde Verspätung kam sie zu dem vereinbarten Treffpunkt im Stadtpark. Er hatte sich bereits von der Parkbank, auf der er gewartet hatte, erhoben und sich zum Fortgehen gewendet, als sie endlich auftauchte. Ihr Gesicht drückte Besorgnis aus.

»Was ist geschehen?«, fragte er. »Hast du dich wieder mit deinem Vater gestritten?«

Die junge Frau nickte bedrückt. »Ja. Vater hat mir wieder vorgeworfen, dass ich auf einen Mitgiftjäger hereingefallen bin. Er kann es einfach nicht glauben, dass ich dich wirklich liebe. Er nimmt immer noch an, dass du es nur auf die riesige Erbschaft abgesehen hast, die ich einmal antreten werde, wenn Vater stirbt.«

»Irgendwie kann ich die Haltung deines Vaters verstehen!«, sagte der junge Mann und legte seinen Arm um die schmalen Schultern des Mädchens. »Er hat sich in jahrelanger, mühevoller Arbeit zu einem der wohlhabendsten Bürger unserer Stadt emporgearbeitet. Ihm gehören verschiedene Fabriken und ein großes Haus am Stadtrand. Und nun befürchtet er, dass das alles nach seinem Tod – wenn du es erbst – in Hände fallen könnte, die es nicht verdient haben!« Er zog sie an sich und sah sie lange an. »Aber du musst mir eines versprechen, Liebes. Du darfst nicht glauben, was dein Vater über mich sagt. Ich möchte dich so schnell wie möglich heiraten, weil ich dich liebe – und nicht, weil du eine reiche Erbin bist. Das darfst du nie vergessen. Versprichst du mir das?«

»Das kann ich dir sogar leicht versprechen!«, erwiderte sie mit einem erleichterten Unterton in der Stimme. »Vater hat sich nämlich entschlossen, mich zu enterben!«

»Was?«, stieß er hervor.

»Als ich ihm klar und deutlich sagte, dass ich dich um jeden Preis heiraten werde, hat er sofort seinen Rechtsanwalt zu sich bestellt. Ich werde keinen Pfennig von seinem Vermögen erben, weil alles in eine wohltätige Stiftung übergeht. Zuerst hielt ich das für einen verrückten Vorschlag, bis ich dann herausfand, dass es die einzige Lösung ist. Jetzt können wir endlich...«

»Er hat dich enterbt?«, stammelte der junge Mann fassungslos. »Und du willst, dass wir heiraten?«

»Aber ja!«, erwiderte sie.

»Und wovon sollen wir leben?« wollte er wissen. »Ich verdiene nicht viel...«

»Wir werden schon zurechtkommen!«, sagte sie optimistisch. »Gehen wir morgen zum Standesamt und bestellen das Aufgebot?«

Er sah sie an und nahm ihre Hand. »Ich glaube«, sagte er dann langsam, »wir sollten es nicht übereilen. Wir müssen alles genau überlegen. Es ist eine schwerwiegende Entscheidung. Überhaupt jetzt, wo dein Vater sein Testament ändert...«

»Ich habe dich schon verstanden«, sagte die junge Frau bitter. »Du hast in mir nur die reiche Erbin gesehen – wirklich geliebt hast du mich nicht. Mein Vater hatte von Anfang an recht. Er hat sein Testament nie geändert, das war nur eine Prüfung, vor die ich dich gestellt habe. Ich wollte endlich Klarheit haben, ob du mich nur um meiner selbst oder meines Geldes wegen liebst. Und jetzt habe ich die Antwort gefunden.«
Sie wandte sich auf dem Absatz um und ging mit schnellen, sicheren Schritten davon. 

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