Samstag, 18. Juli 2020

Die Macht der Hypnose - Teil 1

Die Macht der Hypnose 



»Heute Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich Ihnen ein ganz besonderes Phänomen der Hypnose vorführen!« Der Mann, der im August 1922 diese Worte zu seinen Gästen spricht, ist der Münchener Professor Dr. Albert Freiherr von Schrenck-Notzing (1862 – 1929)
   Die Besucher, die sich in seiner Münchener Praxis zusammengefunden haben, sind bereit, Schrenck-Notzings Ankündigungen Glauben zu schenken, denn der bekannte Arzt und Parapsychologe hat schon mehrere Male durch verblüffende und manchmal sogar unheimlich wirkende Vorführungen der Hypnose das Erstaunen seiner Kollegen erregt.
   »Darf ich bitten!«
   Der Freiherr bittet seine Gäste, allesamt namhafte Wissenschaftler, in ein Nebenzimmer. Die Vorhänge sind zugezogen, nur eine einzige Gasflamme erhellt den Raum. Wände und Einrichtung sind in dunklen Farben gehalten. Die Wissenschaftler nehmen auf den Stühlen Platz, die im Halbkreis um die Couch an der Seitenwand aufgestellt sind.
   Professor Schrenck-Notzing führt nun ein ausnehmend hübsches, junges Mädchen herein.
   »Dies ist Fräulein Lina!«, stellt er sie den Anwesenden vor. Lina macht einen artigen Knicks. »Sie hat bereits Erfahrungen mit der Hypnose gemacht«, erläutert er, »und hat sich als besonders zugängliches Medium erwiesen!« Er schaut in die Runde und deutet auf einen jungen Mann im eleganten Anzug. »Lina, darf ich dir Dr. Schneider vorstellen?«
   Der junge Mann erhebt sich auf ein Zeichen des Professor und deutet eine Verbeugung an. »Sehr erfreut.«
   »Kommen wir nun zu unserem heutigen Experiment«, sagt Schrenck-Notzing, nachdem der junge Mann sich wieder gesetzt hat.
   Lina legt sich auf die Couch. Der Professor nimmt nun einen goldenen Ring, der an einem Faden hängt und lässt ihn vor Linas Augen leicht hin und herschwingen. »Sehen Sie bitte auf den Ring, auf nichts anderes als auf den Ring, Sie sehen nur noch den Ring!'' Schrenck-Notzings Stimme ist leise und monoton, aber dennoch fordernd. Die Gäste des Freiherrn schweigen. »Sie spüren, wie Ihre Augenlider schwerer und schwerer werden, schwerer und schwerer, schwerer und schwerer!« Und schließlich: »Sie schlafen, Lina, Sie schlafen fest und tief und hören nur noch meine Stimme. Hören Sie meine Stimme, Lina?«
   Das Mädchen liegt vollkommen entspannt auf der Couch, die Augen sind geschlossen, der Atem geht ruhig und gleichmäßig.
   »Ja, ich höre sie!«, sagt Lina.

Albert von Keller - Hypnose bei Schrenck-Notzing - ca1885
Albert von Keller - Hypnose bei Schrenck-Notzing - ca1885

 »Wenn Sie erwachen, werden Sie den hier anwesenden Dr. Schneider nicht mehr sehen«, sagt Dr. Schrenck-Notzing nun. Ein leises Raunen geht durch die Reihe der Gäste. »Sie werden Dr. Schneider nicht mehr erkennen!«, wiederholt der Schrenck-Notzing die Anweisung. »Er ist einfach nicht mehr für Sie da! Erst wenn ich das Wort ›Palme‹ ausspreche, können Sie Dr. Schneider wieder sehen.« Es ist totenstill. »Ich werde Sie jetzt erwachen lassen!« sagt Schrenck-Notzing. »Sobald ich die Zahl zwanzig ausgesprochen habe, werden sie erwachen und sich an nichts mehr erinnern, was während der Hypnose geschehen ist.
   Langsam beginnt Professor Schrenck-Notzing zu zählen. Gespannt sehen seine Gäste, wie Linas Augenlider zittern und sich schließlich bei der Zahl Zwanzig öffnen.



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