Donnerstag, 1. April 2021

Fast eine Weihnachtsgeschichte

Vorweihnachtszeit

Von  Michael Rolandt
Aus der Küche duftete es nach Zimtsternen, Vanillekipferln, Butterplätzchen und anderen Kostbarkeiten. Marianne stand am Ofen, summte leise eine vorweihnachtliche Melodie aus dem Radio mit und hantierte mit ihren verschiedenen Backblechen und Schüsseln. Ich hätte stundenlang durch die Durchreiche zwischen Küche und Wohnzimmer beobachten können, deren Glas vor ein paar Wochen durch meine Ungeschicklichkeit zerbrochen war. Doch hatte ich gar keine Zeit, um Marianne beim Backen zuzusehen. Denn ich sollte eine Weihnachtsgeschichte schreiben. Die Schreibmaschine stand stumm und tatenlos vor mir. Der Typensatz schien mich anzugrinsen und nur darauf zu warten, die Gedanken, die ich gleich zu Papier bringen würde verhunzen zu dürfen.
   Ausgerechnet jetzt, zwei Wochen vor Heiligabend war es dem Redakteur eingefallen, mir den Auftrag für eine Weihnachtsgeschichte zu geben. Dabei hatte ich ohnehin schon genug zu tun.. Ich hatte mir vorgenommen, in der Weihnachtszeit eine Serie über die Großtierjagd im südlichen Afrika zu schreiben. Das ist mein Spezialgebiet. Tiergeschichten und Geschichten über Jagd, Tierschutz und noch vieles andere mehr.
   »Ich weiß, dass Sie auf ein ganz anderes Thema spezialisiert sind!«, begann der Redakteur der Tageszeitung am Telefon. »Aber warum wollen Sie sich nicht einmal an einer Weihnachtsgeschichte versuchen?«
   Ich nahm an, dass der Kollege abgesprungen war, der ihm die aktuelle Weihnachtsgeschichte zugesagt hatte.
   »Ich habe keine Zeit!«, wiederholte ich.
   Doch dann sagte er: »Wir hatten einen Schriftsteller gebeten, die Geschichte für unsere Heiligabendausgabe zu schreiben, doch nun ist er plötzlich verstorben, ohne ein Manuskript zu hinterlassen. Sie sind der einzige, der uns noch helfen kann! Ich habe gehört, dass Sie ein Mann der schnellen Entschlüsse sind! Greifen Sie zu! Wir zahlen das doppelte Honorar, wenn Sie uns die Geschichte rechtzeitig liefern!  Einverstanden?«
   Was blieb mir also anderes übrig? »Einverstanden!«, sagte ich. »Ich werde mich gleich an die Arbeit machen!«
   Das war vor zwei Tagen gewesen, Heiligabend war nähergekommen, aber ich hatte bis jetzt   noch keine einzige Zeile geschrieben. Um ehrlich zu sein, ich hatte noch nicht einmal eine Idee, worum es konkret in der Weihnachtsgeschichte gehen sollte. In verschiedenen Sammelbänden hatte ich mir Anregungen gesucht und zahllose  weihnachtlichen Geschichten von Kollegen und Kolleginnen gelesen. Doch es war nichts dabei, was meine Phantasie angeregt hatte.
   Ich stand auf und ging in Zimmer auf und ab. Blickte auf die grauen Häuser, deren Dächer feucht im Regen glänzten. Leichter Nebel lag wie eine Decke über der Stadt. Unwillkürlich fröstelte ich. Ich ging hinunter in den Keller und nahm im Hobbyraum eins meiner Gewehre aus dem Waffenschrank. Langsam und systematisch löste ich den Verschluss, nahm das Gewehr auseinander, ölte die Teile und setzte sie wieder zusammen. Ich tue das immer, wenn ich nervös bin und keinen klaren Gedanken fassen kann.
   Denn ich schreibe nicht nur über die Jagd, ich gehe auch selbst regelmäßig auf die Pirsch.
   Nachdem ich das Gewehr wieder zusammengesetzt und abgewischt hatte, wollte ich gerade nach oben gehen und mich erneut vor die Schreibmaschine setzen, als Marianne herunterkam. Unser Pfarrer war bei ihr.
   »Besuch für dich!«, sagte Marianne und zog sich zurück.
   »Es tut mir leid, wenn ich Sie störe«, sagte der Pfarrer und sein Blick  verharrte auf dem Gewehr. »Aber ich bin gekommen, weil wir Ihre Hilfe benötigen.«
   »Inwiefern?«
   »Sie waren seit langem nicht mehr im Gottesdienst«, sagte er und bemühte sich, seine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen. »Sonst wüssten Sie, welches Problem wir haben!«   Es kommt immer wieder vor, dass sich in der kalten Jahreszeit einige Vögel in unsere Kirche verirren weil sie in Gebälk einen warmen Platz finden, Bisher habe ich auch nie etwas dagegen unternommen. Solange es sich nur im Spatzen oder um eine Amsel handelte, war es ja auch nicht weiter schlimm. Und wenn sie einmal mit ihrem Geschrei den Gottesdienst störte, habe ich sie hinausgejagt. Aber in diesem Jahr...«
   Er verstummte und hob ratlos die Schultern. Ich sah ihn interessiert an. »Nun, wer hat sich dieses Jahr in Ihre Kirche verirrt?«
   »En Taubenpärchen!«, sagte der Pfarrer mit bitterer Miene. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Tauben. Dich diese beiden Tiere sind einfach nicht tragbar. Sie stören den Gottesdienst. Außerdem verursache  sie eine Menge Schmutz, Können Sie sich vorstellen, dass Ihnen plötzlich während der Predigt ein Brocken… Taubendreck auf den Kopf fällt?«
   »Nein!«, erwiderte ich.
   »Bisher war es kein so großes Problem, weil die Gottesdienste ja leider nur schwach besucht sind. Aber jetzt – während der Weihnachtszeit. Denken Sie nur an den Heiligabendgottesdienst.  Unvorstellbar, wenn nun plötzlich eines der Tiere die Kontrolle über seine Ausscheidungen verliert, während unten die Honoratioren  unseres Stadtviertels sitzen. Ich könnte...ich müsste...ich hoffe, Sie sind mit mir einer Meinung?«
   »Natürlich!« sagte ich. »Aber warum Sie damit zu mir? Soll ich die Tauben hinausjagen?«
   »Das hat wenig Aussicht!«, sagte er und blickte wieder auf mein Gewehr. »Ich habe es schon selbst versucht, zusammen mit meinen Pfarrhelfern. Doch die Tauben scheinen intelligenter als andere Vögel zu sein. Oder unsere beiden Exemplare sind schlauer als ihre Artgenossen. Jedenfalls ist es uns nicht gelungen, die Tiere zu vertreiben. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Ich wollte Sie bitten...« Wieder sah er auf das Gewehr. »Ich wollte Sie also bitten, die beiden Tauben zu erschießen. Damir sie nicht unseren Weihnachtsgottesdienst stören können. Wären Sie dazu bereit? Ich ersetze Ihnen natürlich sämtliche Kosten. Es wird sich schon eine Möglichkeit finden, die Kosten beim Gemeindeamt glaubhaft unterzubringen.«
   »Warum suche Sie sich nicht einen anderen Jäger?«, fragte ich. Ich hatte keine große Lust, den Auftrag des Pfarrers anzunehmen.
   »Aber Sie wissen doch, dass in unserer Kirche wertvolle Kulturgüter zu finden sind. Unvorstellbar, wenn nun irgendein Schützenbruder danebenschießt und ein Heiligenbild oder eines der Fenster treffen würde.«
   »Warum vergiften Sie die Tiere nicht?«, schlug ich vor. »Legen Sie vergiftetes Futter aus!«
   »Das haben wir auch schon versucht. Doch die Tiere nehmen das Futter nicht an. Warum wollen Sie mir nicht behilflich sein? Sie gelten als der beste Schütze in unseren Viertel. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen... »
   Er schwieg und faltete die Hände vor dem Bauch. Dann sah er mich an. Ich blickte zu Boden, während seine Blicke sich wieder dem Gewehr zuwandten. »Zwei Tauben, sagten Sie?«, fragte ich. Er nickte erfreut und schien meine Frage schon als Zusage aufzufassen.
   »Bestimmt keine Schwierigkeit für Sie! Bei Ihrem Können! Kommen Sie gleich mit?«  
   Ich zuckte resigniert mit den Schultern. »Also gut. Ich komme gleich mit. Ich nehme an, es ist in Ihrem Interesse, wenn ich keine Schrotpatronen benutze?«
   »Aber natürlich - bedenken Sie doch welchen Schaden Sie damit anrichten könnten!«, sagte er schnell.
   Marianne saß am Küchentisch und las in der Zeitung. Leere Schüsseln und Schalen standen in der Spüle. Aus dem Backofen zogen die Düfte ihres neuen Meisterwerkes heraus.
   »Ich bin gleich zurück!«, sagte ich. Marianne nickte nur und sah mir nach ohne weiter zu fragen.
   Das Telefon klingelte, als ich schon in der Tür stand. Es war der Redakteur der Tageszeitung. Er wollte wissen, wenn ich die Weihnachtsgeschichte abliefern konnte. »Wie weit sind Sie damit?«
   Neben mir trat der Pfarrer von einem Fuß auf den anderen.
   »Die Geschichte ist so gut wie fertig«, sagte ich. »Ich muss sie nur noch aufschreiben.«
   ENDE
   
 


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Credits:
Michael Rolandt: Vorweihnachtszeit
© by author / R.Jahn
Published by krimiladen.blogspot.com
3/2021
Verbreitung nur mit Genehmigung
   

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