Sonntag, 4. April 2021

Story der Woche

Image GmbH

Story von Ralph Petersen

In unserer Straße hatte ein neuer Laden eröffnet. Das Schaufenster erstrahlte allerdings nicht in der üblichen Eröffnungsdekoration. Nur ein Schild stand darin: IMAGE-GmbH. Neugierig betrat ich eines Nachmittags den Laden. Ein freundlicher Herr mittleren Alters empfing mich.
   »Was verkaufen Sie in Ihrem Geschäft?«, fragte ich.
   »Persönlichkeiten!«, erwiderte der Mann freundlich. »Wenn Sie mir folgen, erkläre ich es Ihnen gern.« Er führte mich in ein großes Lager. Dort sah ich auf den Regalen leere Kaviardosen, daneben leere Wein- und Sektflaschen — überhaupt schien das Lager nur mit Müll gefüllt zu sein.
   »In unserer Gesellschaft«, sagte der Mann, »muß der Mensch stets darauf achten, dass er von seinen Mitbürgern als das anerkannt wird, was er gern möchte. Man achtet auf seine Kleidung, auf seinen Wagen, man achtet auf den Umgang, den er hat und man achtet nicht zuletzt auf den Müll, den er hinterlässt.«
   Ich hob misstrauisch die Augenbrauen. »Also glauben Sie wirklich, dass...«, begann ich.
   »Haben Sie noch nie bemerkt, wie kritisch man die Müll  der Nachbarn mustert?« unterbrach er mich. Ich konnte nichts negatives erwidern. Der Mann fuhr fort: »Wir verkaufen deshalb, wenn man es einmal so vulgär ausdrücken darf, in unserem Geschäft Müll. Zum Beispiel diese Kaviardose. Besonders geeignet für einen großbürgerlichen Haushalt. Deponiert man die Dose gut sichtbar unter dem etwa angehobenen Mülltonnendeckel, so kann man schon nach einigen Wochen einen deutlichen Prestigeanstieg verzeichnen. Sie dürfen übrigens versichert sein, dass alle Artikel, die wir verkaufen, hygienisch einwandfrei und somit gesundheitlich unschädlich sind. »
   »Aber warum?«, fragte ich. »Wenn man sein Prestige mit einer Kaviardose im Mülleimer heben kann, kann man sich doch eine  Dose Kaviar kaufen, den Inhalt essen und sie dann in den Mülleimer legen!«
   »Es gibt nun aber auch einmal Menschen, die keinen Kaviar mögen!«, belehrte mich der freundliche Mann geduldig. »Außerdem ist eine Dose Kaviar wesentlich teurer als eine Kaviardose. Aber dieser Verkauf von Einzelstücken nimmt nur einen kleinen Teil unseres Unternehmens in Anspruch.« Er führte mich in die hintere Hälfte des Lagers. Hier standen Mülltonnen herum, gekennzeichnet mit Schildern wie »Student«, »Single, weiblich«, »Intellektueller« oder auch »gutbürgerlich«.
   »Wir stellen hier Sets zusammen, die ganz und gar dem Image einer Person entsprechen!«, erläuterte er und klappte einen Tonnendeckel auf. »'Student' zum Beispiel. Diese Tonne enthält leere Rotweinflaschen, eine Menge bekritzeltes Papier, ein Unmenge Flyer von Pizzalieferdiensten, Brot- und Käserinden. Alles absolut imagewirksame Dinge, wir haben des getestet. Wir sorgen dafür, dass der Müll des Bestellers diskret entfernt wird und placieren dafür gut sichtbar unsere Tonne. Diese Sets erfreuen sich größter Beliebtheit, weil sie - anders als eine einzelne Kaviardose - ein abgerundetes Bild einer Persönlichkeit geben. Die 'Single, weiblich'-Tonne enthält zum Beispiel leere Konservendosen, einen Packen Zeitungen, sowie einige leere Proseccoflaschen, Zellstoffpads mit Lippenstiftabdrücke  und ein Paar Damenstrümpfe. Sie sehen also«, er räusperte sich, »wir denken an alles. Besonders schwierig ist die Zusammenstellung von Sets für ganze Familien. Dazu benötigen wir genauere Angaben über Lebensgewohnheiten, Zahl der Kinder und so weiter. Ich kann mit Recht behaupten, dass all unsere Sets bisher ein äußerst positives Echo gefunden haben. Unser größres Angebot ist das Drei-Monats-Programm. Innerhalb dieser Zeit steigern wir das Prestige indem wir langsam aber beständig, von Mülltonne zu Mülltonne auf der Prestigeleiter emporklettern. Wir fangen also, wenn der Scherz erlaubt ist, mit Sprudelflaschen an und hören mit Sektflaschen auf!«
   Erschreckend deutlich stieg in mir die Erinnerung auf, dass ich auf dem Weg zur Arbeit stets den Abfall meiner Nachbarschaft angesehen und unbewusst die verschiedenen Dinge registriert hatte, die unter den halboffenen Deckel ihrer Tonnen hervorgeschaut hatten. Zum Beispiel die  leeren Whisky- und Ginflaschen bei den Bankdirektor neben mir. Ein Paar zerlaufene Pumps bei der älteren Dame ein Haus weiter... Unvorstellbar, wenn all diese Leute meinem Müll die gleiche, wenn nicht sogar größere Beachtung schenkten. Ging die Bankiersgattin nicht stets zum Einkaufen, kurz nachdem die Müllmänner die Tonnen an den Straßenrand gestellt hatten. Sollte sie etwa ... Wenn sie nun diese schrecklichen Dinge bei mir gesehen hatte. Papierchen von Karamellbonbons, Beutel von Gummibärchen. Nicht auszudenken. Aber ich habe nun einmal eine Schwäche für Süßigkeiten.
   Da war aber auch schon wieder der freundliche Herr an meiner Seite und fragte, ob er mir vielleicht behilflich sein könne. Ich bejahte und bestellte für das nächste halbe Jahr jede Woche eine Mülltonne mit der Bezeichnung »Journalist - verkannter Schriftsteller!
   
  

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Die Retro-Edition - mit zwei Dutzend Krimis zurück in die Achtziger


Die Achtziger – das waren die Jahre, als man noch überall rauchen durfte, der Marlboro-Mann und der Camel-Tramp im Kino Werbung machten und die Hollywood-Hits »Dirty Dancing«, »Shining« und »Zurück in die Zukunft« hießen. Zum Telefonieren benutzte man Festnetztelefone, und wenn man unterwegs war, musste man sich zum Anrufen eine Telefonzelle suchen – das waren gelbe Kabinen mit einem Münztelefon und einem gestohlenen Telefonbuch.

Zwei Dutzend clevere Kriminalstorys aus der guten alten Zeit – als im Fernsehen immer dienstags »Dallas« lief und freitags »Derrick« ermittelte. Die Hits des Jahrzehntes waren »Take On Me« von a-ha , Nena mit »99 Luftballons« und natürlich »Jeanny« von Falco. Wie immer zu Ihrem Vergnügen ausgesucht und zusammengestellt von Krimikenner H.P. Karr.

  
   
  

 Die Idee

 Story von Michael Rolandt

Freddy war Schriftsteller. Oder er hielt sich wenigstens dafür. Einiges hatte er auch schon veröffentlicht, doch nun stand sein Sinn nach größerem. Freddy wollte ein Drehbuch schreiben. Also setzte Freddy sich hin, verfasste ein Filmdrehbuch und schickte es flugs an den nächsten Filmproduzenten, der ihm einfiel. Der bestellte Freddy kurz darauf tatsächlich in sein Büro.
   »Sie haben uns hier also ein Drehbuch vorgelegt!«, begann er.
   Freddy nickte. »So ist es!«
   Der Produzent blätterte gelangweilt in dem Manuskript. »Sie erzählen also die Geschichte eines jungen Mädchens. Dieses junge Mädchen ist hübsch und knackig... Dieses Mädchen verliebt sich also in zwei Männer!«
   »So ist es!«, bestätige Freddy.
   »Der eine Mann ist ein Schuft und der andere ein Held!«, fuhr  der Produzent fort. »Zuerst lernt das Mädchen den Helden kennen. Dann taucht der Schuft auf und spannt sie dem Helden aus. Richtig?«
   »Völlig richtig!«, sagte Freddy.
   »Gut — jetzt liebt also der Schuft das Mädchen, bis es dann erkennt, dass er ein Schuft ist. Und kehrt daraufhin reumütig zu dem Helden zurück, der während der ganzen Zeit auf sie gewartet hat. Auch richtig?«
   »Genau, so ist es!« Freddy sah den Produzenten betroffen an. »Ist der Stoff etwa nicht gut?«
   »Das ist doch alles nichts Neues!«, sagte der Produzent und gähnte. »Das gab es schon tausendundeinmal. Das will keiner mehr sehen. Das ist abgeschmackt, plump, kitschig, blödsinnig ... kein bisschen Originalität darin!«
   »Oh, ich habe etwas vergessen!«, sagte Freddy auf einmal. »Habe ich tatsächlich nicht erwähnt, wo das Ganze spielt?«
   »Wo spielt es denn?«
   »In einer Badewanne.«
   


Ralph Petersen: Image GmbH
Michael Rolandt: Die Idee
© by author / R.Jahn
Published by krimiladen.blogspot.com
4/2021
Verbreitung nur mit Genehmigung
  
   


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