Mittwoch, 21. Juli 2021

Der Star

Der Star 

Von Karl Vash

Hubert musterte den gut gekleideten Herrn, der bei der letzten Station in das Zugabteil gekommen war. Der Herr bemerkte Huberts nachdenkliches Gesicht und lächelte ermutigend.
  »Fragen Sie ruhig!«; ermunterte er Hubert. »Ich sehe doch, dass Sie eine Frage auf dem Herzen haben!«
  »Sie... Sie sind doch nicht etwa....«
  »Doch!«, bestätigte der Herr. »Ich bin's!«
  »Amadeus Grünfeld - der bekannte Film- und Fernsehschauspieler!«, stieß Hubert atemlos hervor. »Sie wissen gar nicht, wie sehr ich Sie bewundere. Sämtliche Folgen Ihrer Fernsehserie habe ich gesehen. Aber, wenn ich mir noch eine Frage erlauben darf, Herr Grünfeld...«
  »Nur zu!«, ermunterte der Fernsehstar ihn.
  »Warum reisen Sie mit den Zug? Und dazu noch zweiter Klasse? Ich meine, ein Star wie Sie reist doch normalerweise im Privatjet oder ...«
  »Aber nein!«, lachte Grünfeld. »Ich gönne mir auf meinen Eisenbahnfahrten stets ein wenig Ruhe. Wissen Sie, diese vielen Termine, die ich tagtäglich habe machen mich beinahe zu ihrem Sklaven. Manchmal weiß ich am Morgen nicht, was ich am Abend zu tun habe und wo ich am Abend sein muß. Morgens in Hamburg, abends in Gummersbach oder Frankfurt, so ist das eben, deshalb fahre ich nur mit dem Zug, weil man da in Ruhe vorwärtskommt!«
  »Oh, natürlich, ich verstehe!«, sagte Hubert. In diesem Augenblick wurde die Abteiltür geöffnet und der Schaffner verlangte die Fahrkarten. Nachdem er Huberts Ticket gesehen hatte,  wandte er sich an den Fernsehstar, der mit einem verzweifelten Gesichtausdruck seine Taschen abtastete. »Ich kann meine Fahrkarte nicht finden!«, verkündete er.
  »Das ist aber Pech für Sie!«, bemerkte der Schaffner trocken. »Dann müssen Sie nachlösen!«
  »Aber ich habe doch vor der Abfahrt die Karte in meine Jackentasche gesteckt!«, beteuerte Amadeus Grünfeld. »Das weiß ich genau. »
  »Sie mögen es wissen!«, sagte der Schaffner ungerührt. »Ich weiß es aber nicht. Und deshalb müssen Sie nachlösen!«
  »Aber ich werde diese Fahrkarte bestimmt noch finden!«, versuchte es der Schauspieler es noch einmal.
  »Darauf kann ich nicht warten!« Der Schaffner war durch nichts zu erweichen. »Sie lösen jetzt eine Fahrkarte nach oder ich übergebe Sie an der nächsten Station der Bahnpolizei!«
  Während Amadeus Grünfeld noch einmal verzweifelt in seinen Taschen Nachsuche hielt, tippte Hubert den Schaffner an.
  »Sagen Sie, erkennen Sie denn diesen Mann nicht?«, fragte er erstaunt.
  »Nein!«, erwiderte der Schaffner. »Warum sollte ich ihn denn erkennen?«
  »Aber kommt Ihnen sein Gesicht nicht irgendwo bekannt vor?«, drang Hubert auf ihn ein. »Bestimmt haben Sie es schob einmal gesehen. Auf dem Bildschirm vielleicht. Oder im Kino! »
  »Mein Gott!« Der Schaffner schlug sich vor die Stirn. »Amadeus Grünfeld! »Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Sie nicht sofort erkannt habe, Herr Grünfeld... Selbstverständlich glaube ich, dass Sie eine Fahrkarte haben... bitte entschuldigen Sie, wenn ich vielleicht unhöflich war! »
  »Sie müssen auch nur Ihre Pflicht tun!«, besänftigte Grünfeld ihn. »Ich werde Ihnen die Fahrkarte zuschicken, sobald ich sie gefunden habe. Damit Sie sie ordnungsgemäß entwerten können.
  Am besten Sie geben mir Ihre Adresse!«
  »Aber natürlich!«, versicherte der Schaffner und gab dem Schauspieler seine Adresse. »Und wenn Sie möglicherweise ein paar Autogrammkarten für meine Kinder beilegen könnten.
  »Aber selbstverständlich!«, versprach Grünfeld. Der Schaffner verbeugte sich und verließ das Abteil. Amadeus Grünfeld fingerte weiter nervös durch die Taschen seines Anzuges.
  »So ein Pech!«, stöhnte er. »Ich kann die Fahrkarte wirklich nicht finden!«
  »Aber das hat doch bestimmt Zeit«, sagte Hubert. »Wenn Ihre Frau den Anzug ausbürstet, wird sie schon wieder auftauchen.«
  »Das nützt mir wenig«, entgegnete Amadeus Grünfeld traurig. »Ich muss die Karte jetzt finden damit ich weiß, wohin ich fahre.«


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Karl Vash: Der Star
© by author / R.Jahn
Published by krimiladen.blogspot.com
7/2021
Verbreitung nur mit Genehmigung

 

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